Buch: Holy Shit



Pooth/Honold: Holy Shit - Ein Klo packt ausStorylution, 2024




Von wegen "stilles Örtchen"! Hier packt ein Klo endlich aus und bietet exklusive Einblicke in sein Leben. Von Rundungen und Abgründen, Lava und Würsten - diese Toilette hat viel erlebt und doch sehnt sie sich nach mehr. In 14 Geschichten erzählt uns das Klo von seinen Erlebnissen und Wünschen. Dabei ist jede Erzählung eine Spülung für sich - aber wie es manchmal eben so ist, finden sich Hinterlassenschaften auch bei anderen Besuchen wieder. Folgen wir den Spuren unserer intimen Freundin und lassen uns von ihren Ansichten überraschen.

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Leseprobe:

Es ist wieder so weit. Ich habe sie direkt am Pfeifen erkannt. Sie pfeift immer, wenn sie kommt. Oder summt. Manchmal singt sie sogar. Mir gefällt ihre Stimme. Vielleicht ist das auch, weil ich weiß, was mich gleich erwartet. Jedenfalls wird mir immer ganz warm um den Spülkasten, sobald ich sie höre, und es kribbelt in meiner Schüssel. Ist es das, was die Menschen mit „Schmetterlingen im Bauch“ meinen? Das ist ein Synonym für „verliebt sein“. Sie kommt immer als erstes, bevor es losgeht mit dem ganzen Rummel und Getöse. Dann fängt der Tag auch für mich an. Sie schiebt ihren roten Wagen mit allerhand Utensilien in meinen Vorraum und ab da gibt es für eine Weile nur sie und mich. Jetzt steht sie also vor mir, öffnet mit ihren blauen Handschuhen sanft meinen Deckel und ich verschlucke mich ein bisschen vor Aufregung. Unsere Blicke treffen sich. Niemand guckt mich so an wie sie. Die meisten Menschen sehen in mir nur ein Objekt zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Es interessiert sie maximal, dass ihre Spuren nicht für andere Menschen sichtbar sind – aber selbst das ist nicht immer der Fall und hat meiner Meinung nach mehr mit Scham als mit Rücksichtnahme zu tun. Sie ist anders. Sie sieht mich. Sie benutzt mich nicht. Ihr geht es wirklich um mein Wohlbefinden, das spüre ich genau. Ich glaube nämlich, sie versteht mich. In ihrem Blick sehe ich, dass sie weiß, wie es ist, benutzt zu werden. Sie weiß, wie es ist, immer nur den Dreck abzubekommen. Dabei unsichtbar zu sein. Kein Wort des Dankes, keinen Respekt zu ernten. Niemand, der fragt, wie es uns geht. Stattdessen abschätzige Blicke. Oder gar keine. Ich fühle, dass wir diesen Schmerz teilen. Das verbindet uns. Sie sprüht mich ein mit der reinigenden Flüssigkeit, spritzt wohltuende Frische unter meinen Rand. Dann greift sie zur Bürste und schrubbt mich, zärtlich und gründlich, bis in die Tiefen meines Schlunds. Das kitzelt ein bisschen und ich muss lachen. Sie summt noch ein bisschen lauter, dann betätigt sie schwungvoll meine Spülung. Jetzt kommt der Schwamm zum Einsatz. Den mag ich besonders. Überall reibt sie mich damit ab. Manchmal muss sie richtig doll rubbeln, wenn Stellen besonders dreckig sind. Dann drückt sie ganz fest auf und bewegt den Schwamm hin und her, bis ich mich wieder richtig sauber und gepflegt fühle. Das ist ein tolles Gefühl: Gepflegt zu werden. Alles Verklebte und Verkrustete hinter sich zu lassen. Wieder neu anzufangen. Mit frischem Atem. Und mit ihr. Ich wünschte, dieser Augenblick würde länger dauern. Wir beide gegen den Dreck der Welt. Manchmal stelle ich mir vor, wir würden zusammen abhauen. Sie würde mich aus der Fassung nehmen und raustragen, raus aus der Bar, raus aus dem Buschweg, raus aus der Stadt. Ich habe keine Ahnung, was dort ist, aber mit ihr an meiner Seite wäre ich für alles bereit. Sie würde für mich singen und ich, ich würde mich nur noch für sie öffnen. Leider ist das nicht die Realität. In der ist sie jetzt fertig mit putzen. Sie gibt mir noch einen sanften Klaps auf den Deckel, stellt ein paar neue Klopapierrollen auf die Ablage hinter mir und kehrt mir den Rücken. Bis morgen, mein Sonnenschein!